Das Hobby zum Beruf machen

Christof Gutberlet
Vom Autoverkäufer zum Crossfit-Box-Inhaber
Der 20. November 2018 ist der Wendepunkt im Leben von Christof – Chris – Gutberlet. Vor ihm liegt seine Kündigung. Nach zwei Jahren im Audi-Autohaus in Kassel wurde er nun entlassen. Seine Zukunft: ungewiss. Den bekannten Alltag wird es nun nicht mehr geben. „Im Nachhinein betrachtet war das Schicksal“, ist er sich heute sicher. Und heute ist alles anders. Sportshorts, T-Shirt und Laufschuhe ersetzen das frisch gebügelte Hemd mit dem passenden Anzug von damals – und: den ganzen Tag Sport, Sport, Sport.
Das Leben davor
Es ist Montag, 7.30 Uhr. Eine neue Woche, die gleichen Abläufe – Beratungsgespräche führen, Autos wieder und wieder vorstellen, Emails beantworten, Telefongespräche annehmen, Kaufverträge abwickeln. Zehn Jahre lang ist er als Autoverkäufer tätig – erst in Kassel, später in Hannover, dann nochmal in der Herkulesstadt. „Der Druck in diesem Job ist enorm. Du musst Monat für Monat eine gewisse Anzahl an Verkaufsabschlüssen vorweisen“, erinnert er sich. Ursprünglich hatte er eine Ausbildung zum Fachangestellten beim Arbeitsamt absolviert, doch nach Ende der dreijährigen Ausbildungszeit weiß er: Das ist kein Beruf für mich. Er orientiert sich um, ist als Versicherungsmarkler selbstständig und wird schließlich Autoverkäufer. „Der tägliche Umgang mit den Menschen hat mir Spaß gemacht.“

Wäre alles nicht so gekommen, wie es gekommen ist, hättest du diesen Beruf für immer ausgeübt?
Wäre es nicht zu der Kündigung gekommen, wäre es vermutlich nie zur Gründung der CrossFit Factory Fulda gekommen. Eine CrossFit Box auf dem Level der Factory, quasi von 0 auf 100 Prozent aufzubauen und zu eröffnen funktioniert nicht nebenbei. Das geht nur im Hauptberuf und mit 110 Prozent. Das ist damals mein Anspruch gewesen und ist es noch heute. Deswegen war die überraschende Kündigung meines damaligen Arbeitgebers mehr als Glück und ja aus meiner Sicht auch Schicksal. Um deine Frage zu beantworten, vermutlich hätte ich mir wieder einen Job in der Knochenmühle Automobilverkauf gesucht – ja!
Doch es kommt anders – mir nichts, dir nichts flattert die Kündigung ein und Chris steht erst einmal vor dem Nichts. Kein Job, laufende Kosten – er hing in der Luft. Doch dann bringt ihn eine gute Bekannte auf eine Idee: „Mach doch dein Hobby, deine Leidenschaft – Crossfit – zum Beruf und eröffne eine Box in Fulda.“ Doch so ganz unvorbereitet auf solch eine Situation ist er gar nicht: „Crossfit hat mich immer darauf vorbereitet, zu nehmen was und egal wie dick und schwer es kommt! Crossfit lehrt mich – machen – immer weiter, auch wenn’s weh tut. Von da an habe ich fünfmal die Woche, zwei bis drei Stunden am Tag trainiert.“
Das Crossfit-Universum
Turnen, Laufen, mit Eigengewicht arbeiten und schwere Langhanteln durch die Luft schmeißen – das ist Crossfit. Eine Sportart, die von der Individualität und der Vielfalt lebt. „Crossfit bereitet dich aufs Leben vor“, vermag Chris gerne zu sagen.
Das erste Mal lernt er den Sport in Kassel kennen. Als langjähriger Fußballer ist er ehrgeizig. Zwischendurch versucht er sich am Fitnessboxen – bis ihn ein guter Bekannter aus Berlin einlädt, „zu einem Workout mit in den Park zu kommen“. Sprinten, Burpees, Squats, PullUps. „Das war verdammt anstrengend, hat gleichzeitig aber sehr viel Spaß gemacht“, erinnert sich Chris. Schließlich wird in Kassel die Crossfit Schmiede gegründet. Anfangs wurde im Ruderclub mit kleinster Ausstattung trainiert.

Als seine damalige Freundin mit Tochter Bella schwanger ist, pausiert er. Doch 2013 fängt er wieder an. Und erlangt erneut schnell Freude daran. Aus zweimal die Woche werden ganz schnell dreimal, dann unlimited. „Dieser Sport hat mich gecatcht und ist Stück für Stück zu einem Lifestyle geworden“, erzählt der 38-jährige Fuldaer. Neben dem eigentlichen Sport bildet er sich weiter. 2015 macht er den Crossfit Level-1-Trainerschein, um etwas tiefer in die Thematik einzusteigen. „Eigentlich sollte Level 1 nur für mich selbst als Weiterbildung dienen, doch dann kam ein Angebot aus einem Fitnessstudio, um Crossfit zu etablieren und groß zu machen. Da konnte ich nicht nein sagen“, erinnert er sich. Dort sammelte er erste Trainererfahrung und tat genau das was er heute noch in der Factory lebt – das Unmögliche fordern, um das Mögliche zu erhalten, aber nie weniger als 100 Prozent und vor allem mit viel Herzblut.
Wie kamst du auf die Idee, in Fulda eine eigene Crossfit-Box zu eröffnen?
Von da an kam das Schicksal erneut zum Zuge. Ich habe niemals explizit danach gesucht. Ich wusste, dass es sowas in Fulda nicht gibt. Ich war mit einer Freundin zum Sport verabredet, anschließend sind wir an den Räumlichkeiten im Emallierwerk vorbeigelaufen, die zu dem Zeitpunkt leer standen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie wir an den Fenstern standen und hinein gelugt haben. Ich habe mich schließlich mit Excellisten auseinander gesetzt und überlegt, was ich alles brauche, um in diesem Crossfit-Niemandsland eine Box zu eröffnen. Jeder hat das riesige Potenzial in meiner Idee und Crossfit gesehen und mit angepackt!
Innerhalb von anderthalb Monaten verwandelt er mit drei Freunden die Räume der ehemaligen Videothek zu einer waschechten Crossfit-Box. Am 10. Februar 2019 wird schließlich Eröffnung gefeiert. Seit dem hat der Fuldaer zahlreiche Menschen für diesen Sport begeistern können – egal ob Alt oder Jung. Und die Box ist stetig am Wachsen. „Dieser Sport ist für jeden und macht dich stark für’s Leben.“

Hättest du gedacht, dass deine Leidenschaft, dein Hobby mal zu deinem Beruf wird?
Nein. Die Kündigung hat mich damals schon getroffen und auf lange Sicht wollte ich auf jeden Fall wieder in ein Autohaus. Das kam alles eher zufällig. Aber ich glaube an Schicksal. Alles was man macht, ist durch Fügung geschehen. Mit damals 34 wollte ich keine Experimente mehr machen, ich war mir meiner Sache schließlich ziemlich sicher.
Die vergangene Jahre ist der vielfältige Sport von den Vereinten Nationen zu uns rübergeschwappt. Immer mehr Crossfit-Boxen öffnen, die Wettkämpfe werden größer, professioneller – und internationaler. „Der Stellenwert von Crossfit ist hier noch viel zu gering. Ich finde, jeder braucht Crossfit“, befindet der 38-Jährige und hofft auf einen „stetigen langanhaltenden Wachstum“.
Er selbst hat bereits viel Wettkampf-Erfahrung gesammelt, ist schon früh auf alle möglichen Competitions gefahren. Sein erster großer Wettkampf waren die Herkules-Games. Es folgten der Dutch Throwdown, Croatian Throwdown, die Flanders Throwdown in Belgien und weitere kleine Battles deutschlandweit. „Schon damals waren richtig starke Athleten dabei. Und es macht einfach unglaublich Spaß sich mit diesen zu messen und über sich hinauszuwachsen.“

Das Team der Factory Fulda wächst und wächst – mittlerweile gibt es sogar drei Coaches. Und so stehen regelmäßig Wettkämpfe auf dem Programm. Erst im vergangenen Jahr trat ein achtköpfiges Team in der 2. Fitness-Bundesliga an. Unter dem Jubel unzähliger Zuschauer schafften sie sogar den Aufstieg in die 1. Fitness-Bundesliga. Zwar schafften sie es nicht in die Finals, rückten aber wenig später auf und belohnten sich nach harten Workouts mit Platz 20. „Das sind einfach unglaubliche Erfahrungen für einen selbst, aber auch für das gesamte Team“, sagt Chris.

Was macht Crossfit so besonders für dich?
Crossfit ist für mich mehr als nur ein Sport. Es ist und bestimmt mein Leben, weil ich gelernt habe, nach mehr zu streben, bodenständig sowie gradlinig zu bleiben. Es schafft eine Community, es ist ein Lifestyle, der auch außerhalb der Box gelebt wird. Bei Crossfit gibt es nur ein Ja oder Nein – jeder soll hier besser werden und über sich hinauswachsen. Gleichzeitig herrscht hier immer eine familiäre Atmosphäre.
Die Pandemie-Zeit hat – wie für so viele – einiges zerstört. An gemeinsames Sporteln war nicht zu denken. Auch Weiterbildungen waren nicht zu besuchen. „Ein stückweit wurde einem die Leichtigkeit genommen, weil man sich doch mehr Gedanken und Sorgen um die Zukunft macht. Auch meine persönlichen Ziele stehen und fallen mit dem Funktionieren der Box“, bekennt der Fuldaer. Doch nun schaut Chris positiv gestimmt in die Zukunft. „Ich habe mein Hobby, meine Leidenschaft zum Beruf gemacht, stehe jeden Morgen gerne auf und freue mich auf die Arbeit und den Tag – was will ich mehr?“
Alex
25. Juli 2022 um 11:58Starkes Interview mit einem starken Typen!
Celina Lorei
25. Juli 2022 um 13:05Danke!
Chris.Gut
25. Juli 2022 um 14:41Danke Alex… 🙏🏻
Celina Lorei
26. Juli 2022 um 23:35Vielen Dank!😊