Der zwölfte Mann

15. Januar 2023

Zug um Zug

Foto: imago images / Everett Collection

Nils Emig

ist ein blinder Schachspieler

In der Halle herrscht Stille, lediglich das Ticken mehrerer Uhren ist zu hören. An vier Tischen sitzen jeweils zwei Spieler. Vor ihnen auf dem Tisch 16 weiße Figuren, 16 schwarze Figuren, ein schwarz-weiß kariertes Brett und die tickende Uhr. Pure Spannung liegt in der Luft, die Konzentration ist mit Händen zu greifen. Zug um Zug bewegen sich die Spieler dem Ende der Schach-Partie entgegen – stets begleitet vom Ticken der laufenden Uhr.

Wie Nils Emig seine Liebe zum Schach entdeckte

Schachspielen hat den heute 24-jährigen Nils schon immer interessiert. „So richtig verfolgt habe ich es allerdings nicht.“ Das ändert sich schließlich als an seiner Schule eine Schach-AG angeboten wird. Aufgrund seiner Sehschwäche, die er von Geburt an hat, besucht er die Deutsche Blindenstudienanstalt (Blista) in Marburg. Ein Schachlehrer bringt ihn schließlich zum SC Marburg, der mit seiner 1. Mannschaft in der Oberliga spielt. „Ich habe dort angefangen und 2016 schließlich mein erstes Turnier gespielt. Das hat großen Spaß gemacht und so bin ich dabei geblieben.

Foto: Helge Neidhardt

Wie können sich sehgeschwächte Menschen beim Schach behelfen?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ganz simpel gibt es vergrößerte Bretter. Manche Spieler erfühlen die Figuren. Zudem gibt es Figuren, an denen ein Metallstab befestigt ist, womit die Figuren auf dem Brett platziert werden können.

Doch auf all diese Tricks braucht Nils gar nicht zurückgreifen. „10 Prozent hören sich viel weniger an, als sie es tatsächlich sind“, erklärt er. Zwar darf er keinen Führerschein machen und demnach kein Autofahren, doch abgesehen davon gestaltet sich sein Alltag wie bei einem Vollsehenden. „Ich fahre sogar Fahrrad“, erzählt er. Aktuell studiert er Jura im neunten Semester.

Beschäftigt er sich mal nicht mit Schach oder seinem Studium, spielt er seit 2013 Goalball und gehört sogar der Deutschen Nationalmannschaft der Goalballer an, die im vergangenen Dezember bei der WM in Porto antraten. (Was Goalball überhaupt ist, erfahrt ihr hier.)

Facts

– Einer Schachmannschaft gehören zwischen vier und acht Spieler an. Innerhalb dieser Teams gibt es ein Ranking. Jeder Spieler hat eine Elozahl – mit Siegen steigt diese, bei Niederlagen sinkt sie.
– An jedem Spieltag gibt es vier Partien, die aufgrund ihrer Länge von bis zu sechs Stunden parallel stattfinden. Während der Partie können die Spieler essen, trinken und sogar aufstehen und herumlaufen.
– Die Weltmeisterschaften finden alle zwei Jahre an einem anderen Austragungsort statt. Amtierender Weltmeister ist seit 2013 der Norweger Magnus Carlsen, der erst kürzlich bekannt gab, dass er bei der WM in diesem Jahr nicht mehr antreten werde.

Derzeit belegt die zweite Garde des SC Marburg den vierten Platz in der Verbandsliga. Einmal im Monat treten sie gegen die Konkurrenz an. Nils ist dabei einer von acht Spielern und an dritter Stelle gesetzt. „Die Saison beginnt meist im September, da wir zehn Mannschaften sind, sind es insgesamt neun Spieltage“, erklärt der gebürtige Hünfelder und ergänzt: „Neben dem regulären Ligensystem finden immer wieder Turniere statt, an denen man unabhängig teilnehmen und dabei seine Punktzahl verbessern kann.“

Was gefällt dir so gut am Schachspielen?

Ich kann mich stundenlang mit verschiedenen Techniken beschäftigen und lerne immer wieder was neues dazu. Das find ich super, so wird es nie langweilig und ich kann mich stetig verbessern. Verliere oder gewinne ich eine Partie, fällt das immer auf mich zurück, es liegt nur an mir.

Die Geschichte des Schachspielens

Über die Entstehung gibt es verschiedene Ansatzpunkte. So werden Indien, Persien aber auch China als Ursprungsländer genannt. Nach Europa kam der Brettsport etwa im 8. Jahrhundert – zunächst nach Russland, wenig später nach Spanien. Seit dem 13. Jahrhundert gehört Schach sogar zu den sieben Tugenden der Ritter. In dieser Zeit wurden die Figuren aus Knochen geschnitzt. Im Jahre 1924 wurde in Paris der Weltschachbund Fédération Internationale des Èchecs gegründet. 1927 fand in London die erste Schacholympiade statt. Im 20. Jahrhundert fanden internationale Schachturniere weite Verbreitung, nationale Ligen wurden gegründet.

Schach gilt offiziell als Sport, wird von vielen aber nicht als solcher anerkannt. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Viele Menschen haben sich noch nie so richtig mit Schach auseinandergesetzt, geschweige denn es selbst ausprobiert. So fehlt natürlich der Blick hinter die Kulissen. Dieser würde nämlich zeigen, wie anspruchsvoll und vor allem anstrengend dieser Sport tatsächlich ist. Schach hat Wettkampfcharakter. Bis zu sechs Stunden kann eine Partie andauern und es ist durchgängig höchste Konzentration gefragt. Machst du nach fünf Stunden einen Fehler, waren die gesamten fünf Stunden umsonst.

Das Training

Taktik und Konzentration sind die wichtigsten Komponenten beim Schachspielen. „Das ist beides Übungssache“, erklärt Nils. Und so beschäftigt er sich etwa fünf Stunden in der Woche mit dem Schachtraining. „Meist trainieren wir alleine, ab und zu veranstalten wir Trainingsspiele“, erklärt er. Vor allem Taktikaufgaben gehören zur Vorbereitung dazu. Zentrale Fragen dabei sind unter anderem: „Wie gewinne ich eine Figur?“ und „Wie setze ich den Gegener matt?“ „Oftmals schaue ich mir verschiedenen Zugfolgen an. Mit der Zeit entwickelt man ein Muster, das dann in der Partie angewendet werden kann.“, ergänzt der Jurastudent.

Mehr über den SC Marburg erfahrt ihr hier!

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