Der zwölfte Mann

16. Oktober 2022

Ein EM-Titel zum Geburtstag

Michael Dennis bei den Paralympics 2016 in Rio. Foto: imago images / Pressefoto Baumann

Michael Dennis

ist professioneller Goalballer

„Be quiet please, play!“ – Es ist der 13. Oktober 2019. In Rostock fand in diesem Jahr die Europameisterschaft der Goalballer statt. Als Gastgeber durfte die Deutsche Nationalmannschaft um Cheftrainer Stefan Weil natürlich nicht fehlen – und genau diese stand nun im EM-Finale den Spielern aus der Ukraine gegenüber. Für einen der Spieler aber war dieses Spiel noch bedeutender: Michael Dennis feierte an diesem Tag seinem 27. Geburtstag – und wollte diesen mit dem EM-Titel im eigenen Land krönen.

Aller Anfang ist schwer

Der heute 30-jährige Michael Dennis kommt bereits mit einer Sehschwäche (5 Prozent Restsehen) auf die Welt. Das hält ihn aber nicht davon ab, bereits als Sechsjähriger mit seinen Freunden im Dorfverein über den Fußballplatz zu stürmen. „Sport war schon immer meine große Leidenschaft, da konnte mich nichts und niemand aufhalten“, erinnert er sich schmunzelnd. Mit 16 wechselt er schließlich auf ein Internat in Marburg – weg von seinen Freunden und dem heimischen Fußballverein. „Es musste also ein anderer Sport her!“ Und so informiert er sich und stößt schließlich auf „Goalball“. „Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, was es damit auf sich haben würde, aber gerade das hat mich neugierig gemacht und so bin ich zum Training gegangen.“ Dort trifft er zum ersten Mal auf seinen heutigen Nationaltrainer Stefan Weil, der zu der Zeit noch das Internat-Team trainiert. „Ich bin da also als etwas pummeliger 16-Jähriger in diese Halle gestolpert. Zum Aufwärmen haben wir bereits Medizinbälle benutzt und ich dachte mir: ,Das ist ja richtiger Sport.'“ Sport, der ihm große Freude bereitet, sodass er dranbleibt. Auch, weil Traienr Stefan Weil sagt: „Du bist talentiert, komm doch öfters.“

Erinnerst du dich noch an dein erstes Tor für die Nationalmannschaft?

Ja, leider (lacht). Es war allerdings ein Eigentor, ein missglückter Rückpass.

Der Alltag

„Routinen sind hier das Zauberwort“, weiß der Sportler. „Durch diese fühle ich mich sehr sicher und komme im Alltag selbstständig zurecht.“ Dabei arbeitet er vor allem mit Tricks: Beim Arbeiten am Computer oder dem Handy – er ist als Referent für Veranstaltungen des Behinderten Sportverbands in Berlin tätig – nutzt er die Vergrößerungsfunktion, auch das Umstellen auf Schwarz-Weiß helfe ihm. „Ich habe allerdings ein sehr eingeschränktes Gesichtsfeld. Das heißt, ich nehme das Drumherum nicht wahr.“ Daher nutzt er im Alltag oft einen Blindenstock – vor allem, wenn er im Unbekannten unterwegs bin. „Wenn ich zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit bin, ist mir grundlegend alles bekannt. Steht aber auch nur ein Bauzaun auf diesem Weg, stellt das ein Hindernis für mich dar, weil es eben meine Routine durchbricht“, gibt Michael einen Einblick.

Dabei trifft er auf viele verschiedene Menschen – und vor allem Reaktionen. „Grundsätzlich sind alle Menschen sehr hilfsbereit, aber man trifft mal solche, mal solche. So war ich mal in einer anderen Stadt an einer Bahnhaltestelle und konnte die Nummer des einfahrenden Zugs nicht erkennen und fragte Jemanden. Die Reaktion: ,Na, les es doch ab.‘ Aber damit lernt man umzugehen. Das ist aber die absolute Minderheit.“

Hoch hinaus

Bereits 2010 absolviert er sein erstes Trainingslager mit der Jugendnationalmannschaft. Bei der folgenden Jugend-WM werden die Deutschen gar Vize-Meister. 2012 – drei Jahre nach dem Stolpern in die Halle – folgt der Schritt in die Deutsche Nationalmannschaft, aus der er mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist. „Es macht mit den Jungs einfach unfassbar viel Spaß. Im Vergleich zum Fußball bin ich schnell in die Rolle des Leistungsspielers gerutscht.“
2015 durchleben die Nationalspieler jedoch ein Auf und Ab. „Nach einem Freundschaftsspiel gegen Litauen haben wir uns gefragt ,Was ist hier eigentlich los?'“ In der EM-Gruppenphase scheiden sie aus, viele Spiele werden vorzeitig abgebrochen. (Das ist dann der Fall, wenn eine Mannschaft mit 10 Toren Vorsprung führt.) Umso überraschender, dass sich das Team für die Paralympics in Rio qualifiziert. „Eines Morgens rief der Trainer unter Tränen an und sagte, wir seien nachgerutscht. Wow, das war natürlich der Hammer“, erinnert sich der 30-Jährige zurück. Am Ende werden sie sogar Sechster. „Es war eine Wahnsinnserfahrung. Normalerweise sind eine handvoll Zuschauer bei Spielen dabei. In Rio haben wir vor 12 000 Menschen gespielt. Das werden wir alle nie vergessen.“

Der EM-Titel

Von da an geht es für die deutschen Goalballer steil bergauf – und Michael Dennis ist immer mit dabei. 2017 schlagen sie die Türkei als amtierenden Europameister und erreichen das EM-Finale gegen Litauen, in dem sie sich mit 3:6 geschlagen geben müssen und nur den Vize-Titel mit nachhause nehmen können. „Wir haben einen richtigen Lauf gehabt.“ 2019 dann die EM im eigenen Land. „Es war bekannt, dass das Finale an meinem Geburtstag stattfinden würde. Dort wollte ich umso mehr hin. Ich habe ein Dreivierteljahr über nichts anderes mehr geredet“, erzählt der Goalballer schmunzelnd. Und das Team gibt Gas und spielt super auf. Und Michael kommt seinem Traum einen großen Schritt näher: Die Goalballer erreichen das Finale der Heim-EM am 13. Oktober 2019 – und sie siegen. „Das war ein unglaublicher Tag, einfach unvergesslich.“

Michael und Goalball

Ohne Goalball kann sich Michael Dennis sein Leben nicht mehr vorstellen. „Ich liebe diesen Sport. Und es ist etwas, dass mich und meine Frau verbindet.“ Denn: Amanda Dennis ist nicht nur die Frau an Michaels Seite, sondern ebenfalls professionelle Goalballerin. Mit dem Team der Amerikanerin ist sie ebenso erfolgreich wir ihr Mann. „Ich freue mich sehr auf die Zukunft, wir haben noch viel vor, und ich hoffe, bei den großen Turnieren weiterhin dabei sein zu dürfen.“

One Comment on “Ein EM-Titel zum Geburtstag

[…] vielen Sportarten ist es bereits selbstverständlich, dass absolut jeder mitwirken kann – siehe Blindenhandball oder -fußball. Warum soll es da in der Fitnessbranche anders […]

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