Der zwölfte Mann

17. Juli 2022

Kampfsport ist mein Leben

Dima Mehanikov

über Uhrwerke, das richtige Mindset und eine zweite Chance

Es ist Samstag, der 19. März, kurz nach 1.30 Uhr, als anstatt fetziger Töne die Stimme des Veranstalters Eugen Lorenz aus Buchen (Odenwald) durch die Lautsprecher hallt. „Leute, es tut mir wahnsinnig leid. Und glaubt mir, wenn es nach mir ginge, würde die Entscheidung anders ausfallen. Aber mir sind die Hände gebunden. Wir dürfen den WM-Kampf der WKU nicht durchführen.“


Ein enttäuschtes Raunen geht durch die Menge, haben doch alle rund 1000 Zuschauer – von denen um kurz nach Mitternacht bloß noch die Hälfte übrig geblieben war – diesem besonderen Kampf entgegen gefiebert. Dimitry „Dima“ Mehanikov gegen Marvin „El Zoro“ Grimm. Ein 37-Jähriger gegen einen 25-Jährigen. 1,85 Meter und 90 Kilogramm treffen auf 1,83 Meter und 95 Kilo. Beide topfit, haben sie doch eine monatelange Vorbereitung hinter sich.

Doch was war passiert?

Bereits vor dem letzten Kampf war es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen einem gut betrunkenen Zuschauer und der Security gekommen. Die Lage konnte beruhigt werden, eskalierte vor der Mehrzweckhalle im Herzen von Hainstadt aber endgültig. Polizeieinsatz, Schaden an einer technischen Anlage, Räumung der Halle. Aber vor allem eine bodenlose Enttäuschung für die Kämpfer – vor allem für Dima. Mit 37 Jahren wollte er es nochmal wissen.

Wie hast du von dem Abbruch erfahren und was hat das in dir ausgelöst?

Von dem Trubel in der Halle habe ich zunächst überhaupt nichts mitbekommen. Ich war im Vorbereitungsraum, habe mich warm gemacht und ganz auf mich konzentriert. Zwar habe ich gemerkt, dass es sich als und als verzögerte, doch groß was dabei gedacht habe ich mir nicht – doch ich habe gespürt, dass sich die Atmosphäre verändert hat. Einer aus meinem Team kam schließlich zu mir und sagt ,Dima, du wirst nicht kämpfen’. Das war zunächst verdammt hart. Ich musste alleine sein und habe still für mich geweint.

Das wäre allerdings nicht dein erster WM-Kampf gewesen – was war dieses Mal anders?

Ganz klar: meine Einstellung und mein Mindset. Und somit meine ganze Vorbereitung. Beide Male verlor ich nach Punkten. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, war ich beide Male selbst Schuld. Ich hatte eine absolut schlechte Vorbereitung und war nicht auf das Training fokussiert.

Beim dritten Anlauf sollte das anders laufen. Die zweimalige Absage der Veranstaltung, die bereits für 2020 geplant war, ermöglichte ihm die entsprechende Zeit: Er trainierte bis zu sechs Mal im Fuldaer High5. Kraft, Ausdauer, Technik. Dazu mehrere Trainingslager in ganz Deutschland. „Bei dieser Form des Trainingslagers besucht man verschiedene Boxstudios und wird in deren Trainingsplan integriert. Das wichtige daran ist, dass du lernst, dich auf unterschiedliche Boxtypen, Gegner und Techniken einzustellen“, erklärt der Fuldaer.

Doch du hast dich nicht nur körperlich auf diesen Kampf vorbereitet, sondern auch mental.

Mein Fokus lag darauf, alle fünf Runden zu kämpfen und nicht ein
K.O. zu erzwingen. Meinen regulären Trainingsplan habe ich nicht sonderlich an den Kampf angepasst, sondern mich viel mehr auf mich besinnt, auf das Universum und meinen Glauben. Ich gehe zum Beispiel unglaublich gerne in den Wald und sauge die Energie auf, die ich dort bekomme. Ich bin im Einklang mit mir selbst. Ich habe verinnerlicht, dass das mein Gürtel ist und ich ihn mit nachhause nehmen werde. Körperlich fit zu sein reicht bei diesem Sport nicht mehr aus. Um durchzuhalten, muss dein Kopf darauf eingestellt sein.

„Er hätte nicht durchgehalten“

Dass er mit Marvin „El Zoro“ Grimm einen starken Gegner haben würde, war Dima dabei stets bewusst, doch er wusste auch um seine Schwächen. „Wir sind ungefähr gleich groß und dennoch trennten uns mehrere Kilos. Marvin – den ich sehr schätze – hat seinen Fokus sehr auf den Muskelaufbau gelegt und viel Zeit im Fitnessstudio verbracht.“ Das bedeutet im Klartext: Je mehr Muskelmaße, desto mehr geht die Schnelligkeit und Flexibilität verloren. „Er hätte die fünf Runden nicht durchgehalten“, ist sich Dima sicher.

El Zorro“ lautete der Kampfname deines Gegners. Du nennst dich „Mechanic“.

Da gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten. Einerseits lässt sich das von meinem Nachnamen Mehanikov ableiten. Doch eigentlich steht dieser Name für ein Uhrwerk. Denn ein Uhrwerk hört niemals auf zu arbeiten, es sei denn, die Batterie ist alle. Bei einem Menschen ist das genauso.

Dimas Weg nach oben

Mit fünf Jahren hat der gebürtige Kasache erste Berührungspunkte mit dem Boxsport: Zum Spaß rangelt er mit seinen Freunden im Garten und sammelt so erste Boxerfahrungen – täglich. Dennoch legt er zunächst den Fokus auf die Leichtathletik, das Boxen verliert er aber nie aus den Augen. Schließlich richtet ein Sportlehrer seiner damaligen Schule, der auch als Boxtrainer aktiv war, eine Schulveranstaltung aus – und der 15-jährige Dima steigt in den Ring. „Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie gut ich eigentlich bin, denn ich war quasi unschlagbar“, erinnert er sich lachend. So gewinnt er nicht nur gegen Gleichaltrige, sondern schickt auch ältere und körperlich eigentlich Überlegene auf die Matte. „Als Neuntklässler habe ich Elftklässler besiegt, das wurde damals groß gefeiert. Sie nannten mich alle Mohammed Ali.“ Boxunterricht hat er bis dato nicht bekommen – und das auch bis heute nicht. „Die Art wie ich boxe, Technik, alles habe ich mir selbst beigebracht. Ich habe nie aufgegeben und stets weitergemacht.“
Im Jahr 2009 kommt er schließlich von Kasachstan nach Deutschland und erboxte sich bereits ein Jahr später den Deutschen-Meister-Titel der WKU, es folgte der Europa-Meister-Titel der ISAK 2012 und sogar zwei WM-Kämpfe, doch beide Male verlor er nach Punkten. Es folgten europaweite Kämpfe.

Um einen WM-Kampf absolvieren zu dürfen, müssen gewisse Anforderungen erfüllt werden.

An erster Stelle steht, dass du Kämpfe gewinnst. Ohne eine gewisse Anzahl an Siegen, bekommst du diese Möglichkeit natürlich nicht. Denn: Dadurch machst du dir gleichzeitig einen Namen, der ebenso wichtig ist. Die Menschen wollen einen Weltmeister, dessen Name ein Begriff ist. Für die Veranstalter geht damit einher, dass sie Zuschauer generieren können. Je größer die Fanbase, desto voller die Halle.

Kann Dima den WM-Titel noch holen?

Nachdem er sich eine zweiwöchige Auszeit nahm und alles auf Null setzte, begann er wieder mit seinem regulären Trainingsalltag. „Die Pause habe ich gebraucht, um das alles zu verarbeiten. Jetzt bin ich mit voller Energie wieder da.“ Sollte er die Chance bekommen und der WM-Kampf um „seinen“ Gürtel nachgeholt werden, „werde ich nicht lange fackeln und zusagen“. Und die Chancen stehen gut: Erst vor wenigen Wochen verkündete Veranstalter und Boxstallinhaber Eugen Lorenz, dass er am 12. November einen neuen Kampfabend (Night of the Fighters Vol. 3) ausrichten werde – mit besagten Kampf. Ob sein Gegner dann immer noch Marvin Grimm heißen wird, ist bislang nicht klar.

Das heißt, du bekommst in wenigen Monaten eine zweite Chance um diesen Gürtel. Wie fühlt sich das an?

Ich sage immer, es kommt alles so, wie es vorherbestimmt ist. Und das ist mein Gürtel. Und deshalb bekomme ich im November diesen Kampf. Ich bin voller Vorfreude. Sollte ich nicht den Gürtel bekommen, habe ich trotzdem gewonnen, weil ich in der vergangenen Zeit der Vorbereitung so gewachsen bin.

Bis es aber soweit ist, wird er noch „ein oder zwei“ Übungskämpfe absolvieren. Der erste ist bereits für August angesetzt und wird in Mannheim stattfinden.

Neben deiner eigenen sportlichen Karriere förderst du auch die von ganz vielen anderen Menschen. So arbeitest du im Fuldaer High5 und bietest Personaltraining an.

Meine Mission ist es, die Menschen nicht vorrangig körperlich stark zu machen, sondern im Kopf, ihren Geist, ihre Seele. Hast du den Glauben an dich selbst in deinem Herzen, wirst du auch körperlich erreichen was du schaffen willst. Erfolge müssen langsam, aber langfristig aufgebaut werden, mit Rückschlägen gilt es zu arbeiten.

3 Comments on “Kampfsport ist mein Leben

Jeanette
17. Juli 2022 um 13:56

Super Beitrag, über einen ganz tollen Menschen, der wirklich immer sein Herzblut gibt im Sport.
Ich habe das Glück das Dima mit mir arbeitet und mir die Chance gibt zu wachsen. Selbst in seiner Vorbereitungszeit für den WM Titel hat er sich immer noch die Zeit genommen mit mir und anderen zu trainieren. Er hat ein ganz großes Herz.

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Constantin
17. Juli 2022 um 13:57

Erstaunliches Mindset, unglaublich viel positive Energie. Dima ist ein professioneller Sportler mit viel Disziplin und Ehrgeiz und eine unglaublich starke Persönlichkeit mit viel Liebe und Loyalität.

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Die dritte Chance | Der zwölfte Mann
27. November 2022 um 13:00

[…] Der WKU-WM-Titel-Kampf war bereits für März diesen Jahres angesetzt. Doch es soll anders kommen: „Leute, es tut mir wahnsinnig leid. Und glaubt mir, wenn es nach mir ginge, würde die Entscheidung anders ausfallen. Aber mir sind die Hände gebunden. Wir dürfen den WM-Kampf der WKU nicht durchführen“, erklärte Veranstalter Eugen Lorenz. Zuvor war eine Handvoll Zuschauer unter Alkoholeinfluss aneinandergeraten. Es kam zum Polizeieinsatz, die Halle musste geräumt werden. Der Kampf, auf den alle so lange gewartet hatten, durfte nicht stattfinden. Den ausführlichen Bericht zu diesem Abend lest ihr hier. […]

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